Musiker

Mariahilff

Pop | Folklore

Fiebrige Männer fliegen über die Uckermärkische Steppe, um berauscht von ländlicher Kartoffel und getragen von aufbrausenden Mandolinen glühende Lieder von angriffslustiger Sozialutopie und zarter Liebe zu singen. Das Ergebnis ihrer leidenschaftlichen Einsiedelei nennt sich umstandslos Mariahilff, so die gleichnamige CD der Band, die im Mai 2009 bei Roof Music erschien. Mariahilff ist die unwiderstehliche Fusion aus dem Schauspieler Lars Rudolph (ehemals Ich schwitze nie und Kixx) und einer charismatischen Splittergruppe (bestehend aus Herman Hermann, Boris Joens, Ole Wulfers und Ronald ... Gonko) von Kapaikos, dem legendären Berliner Mandolinenseptett mit einem Hang zur flamboyanten Punk-Folklore.

Während die Wildschweine Berlin kapern, verlässt eine Handvoll Musiker den urbanen Dschungel. Sie folgen der Fährte in den Irrsinn des Landlebens, um in der Abgeschiedenheit einer musikalischen Schwitzhütte aus dem Kotball Erde, der um die Sonne rast („Erde“), den letzten Gestank auszupressen. Was liegt angesichts der Havarie der überdrehten Ökonomie näher, als die wütende Güte und Grausamkeit der guten alten Natur zu beschwören und ihr die darin angehäufte katastrophische Substanz abzutrotzen? Wo sonst als an den Ufern einer Jauchegrube gehen Kitsch und gebrochener Pathos, ohne dass ihr utopisches Potential sofort durch Codes der Ironie geknackt wird? Mothership Erde tritt als melancholische Jukebox auf, die im Zerbersten ein Wimmern und Seufzen ausstößt. Ein weltverlachender Chor liefert in Weill-inspiriertem Shanty-Kosaken-Minimalismus den Abgesang.

Mariahilff bespielt mit maximaler Intensität den Erfahrungsraum zwischen Popmusik und Folklore, voluminös, brennend und beißend, wimmernd, behutsam, leise und krachend, blind und geheimnisvoll. In den endlosen Wiederholungen des Hier und Jetzt, dem „Leben in Tüten“ („Massen“), scheint eine andere Ordnung auf, die sich nur durch kompromisslose Amour-fou („Wald“), durch sehnsuchtsvolle Hingabe an unbewohnte Terrains („Mond“) und die Euphorie taumelnden Glücks („Zeit“) bergen lässt. Über dem Gewebe aus Mandolinengewitter und derbem Matrosengesang, strukturiert durch Bass und Gitarre, schwebt die zart-schräge, waghalsige Stimme von Lars Rudolph und ruft in theatralem Überschwang zu Zerrissenheit, Künstlerromantik und grenzgängerischen Größenwahn auf, begleitet vom Jammern einer singenden Säge. Dazwischen klopfen die Soli des brillianten Trompeters Rudolph sachte ans Trommelfell. Ergebnis der (bis auf einige Overdubs) live eingespielten CD, die von Gregor Henning kongenial produziert und gemixt wurde, ist eine ebenso herzergreifend spröde wie direkte Kommunikation der Stimmen und Instrumente. „Hey, liebe Leute – alle an die Schoten“ („Erde“), holt den Anker ein und zieht zwölf wunderliche Songs von bestechender Schönheit an Bord.

Lars Rudolph: Gesang, Trompete
Herman Herrmann (u. a. Ex-Lassie Singers): Mandoline, Gitarre
Boris Joens: Mandoline, Mandola, Gitarre
Ole Wulfers (u.a. Ex-Party Diktator): Mandoline, Mandola, Singende Säge
Ronald Gonko: Bass